Stefan Römer

Ausschnitte aus "Plakate als soziale Intervention. Paßt die Kunst
im ”öffentlichen Raum” noch in das Bild der Stadt?" in "Plakat.Kunst", Wien, 2000.

Eine Zwischenform der beiden Strategien, des korporativ abgestempelten Großplakats und der Störung der Sehkonventionen, stellen die Plakatserien von Otto Mittmannsgruber und Martin Strauß dar. Für ihre großangelegten Projekte – wie beispielsweise die Serie ”Testbilder” – verändern sie herkömmliche, bereits veröffentlichte Werbeplakate durch Lochrasteraufdrucke bis zur Unkenntlichkeit. Das jeweilige Werbeplakat wird so visuell atomisiert, d.h. in viele kleine unzusammenhängende Bild- und Textfragmente dekonstruiert. Mittmansgruber und Strauß irritieren den Passantenblick, wodurch die Funktion der Werbung jedoch völlig außer Kraft gesetzt wird. Wenn hier überhaupt noch von Catchiness des Plakats zu sprechen ist, dann würde sie darin bestehen, daß der Bereich des agressiven Werbeplakats zum reinen Dekor degradiert wird und sich von den Werbeplakaten abhebt durch die gleichmäßige Undurchsichtigkeit ihrer Oberfläche. Hier springt einem nichts mehr ins Auge, sondern ein recherchierender Blick wird herausgefordert, der das Plakat unter die Lupe nimmt. Zu dieser Strategie gehört auch eine Überzeugungsarbeit der finanzierenden Unternehmen. Sie sanktionieren und subventionieren diese in eine Negation der Werbeideologie mündende Verfremdung, obwohl die ursprüngliche Werbung nicht nur dekonstruiert, sondern sogar zerstört wird. Aus der künstlerischen Manipulation der korporativen Intention ergibt sich eine Änderung der Funktion des Plakats; es bewirbt kein Produkt und dient auch keiner Corporate Identity, sondern verharrt enigmatisch einer Entschlüsselung.
Dies steht in absolutem Gegensatz zum agitatorischen Plakat John Heartfields und seiner ganzen Tradition. Durch die Einwilligung des Sponsors unterscheidet sich die Strategie von Mittmannsgruber und Strauß von der Strategie des Adbusting und Subvertising; ebenso unterscheidet sie sich von der von William S. Burroughs propagierten (akustischen) Strategie des Cut up. Während das Cut up auf eine Konfusion der Menschen im öffentlichen Raum zielt, geht es dem Adbusting um eine subversive mediale Strategie, die das Label eines bestimmten Unternehmens bewußt uminterpretiert, um sein Image zu schädigen, oder die dem Plakat implizite Catchiness für ein politisches Thema zu nutzen: Wie es die Atomtransporte thematisierende Arbeit ”Castor – und die Sinne schwinden Dir!” des anonymen Kölner Adbusters zeigt, dessen Arbeiten lokal sehr populär sind. Mittmannsgruber und Strauss geht es dagegen eher um eine Hinterfragung der kommunikativen Prozesse, die als typisch für den öffentlichen Raum betrachtet werden. Dadurch, daß sie von sich aus auf die Sponsoren zugehen, setzen sie mit der Überzeugungsarbeit, die sie gegenüber dem Unternehmen leisten müssen, eine hegemoniale, keinesfalls aber eine im alten Sinne subversive Strategie ein. Wie unüberprüfbar die Effekte dieses Projekts auch sein mögen, sie rechnen mit dem fiktiven Kapital des demokratischen öffentlichen Raumes – einem möglichen freien kommunikativen Austausch –, insofern sie mittels ihrer Plakatserien auf emanzipatorische Bewußtseinsprozesse – wie auch im Fall der Plakatserie ”13 Tote Österreicher” (1995/96) – zielen. Auffallenderweise liefern die Plakate von Mittmannsgruber und Strauß keine eindeutige Botschaft; im Gegenteil macht die dem Medium des Plakats widersprechende schwere Lesbarkeit den Charakter ihrer Strategie aus. top