Andreas Spiegl

Fremd - Stranger Than The Public

Im Rahmen des Projekts "Fremd", das vor dem Hintergrund des diesjährigen Mottos der Europäischen Union - dem "Jahr gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" - konzipiert wurde, erscheint mir die Frage nach dem "Fremden" (in) der Kunst selbst von Bedeutung zu sein. Umso mehr, als es sich dabei um ein Projekt im sogenannten "öffentlichen" Raum handelt. Wie differenziert die Debatte um den Begriff "Öffentlichkeit" auch immer geführt werden mag, so deutet er im Zusammenhang mit "Kunst im öffentlichen Raum" meist auf eine Vorstellung von Arbeiten ausserhalb der architektonischen Institutionsgrenzen - quasi auf eine ars extra muros. Implizit steckt dieser Interpretation noch die bürgerliche Differenzierung zwischen dem "Privaten" (in den eigenen vier Wänden) und dem Öffentlichnen (als Restraum zwischen den Häusern) in den Knochen. Ohne auf die verschiedenen Medien eingehen zu wollen, die sich für diese Perspektive des Öffentlichen anbieten - seien es Plakate, Zeitungsinserate, eine Demonstration etc. -, manifestiert sich darin bereits die Reaktion auf ein strukturelles Defizit der Vermittlung künstlerischer Überlegungen an ein "öffentliches" Publikum. Immanent offenbart sich hier die Erfahrung, dass sich die Kunst im Laufe ihrer modernen Entwicklung sukzessive von ihrer Rezeption durch eine (breitere) Öffentlichkeit verabschiedet hat, wir könnten auch sagen: sich dieser entfremdet hat. Eine pragmatische Antwort läge darin, dieses defizit als quasi naturhafte Entwicklung zu sehen, d.h. als Produkt einer (sprachlichen, philosophischen und ästhetischen) Ausdifferenzieung, die an ihrem Horizont nur mehr ein Publikum von Spezialisten - und invers eine wachsende Mehrheit von "Analphabeten" erkennen kann, die die Botschaft noch bzw. nicht mehr "lesen" könnten.

Eine zweite Antwort für das relative Desinteresse könnte darin liegen, dass sich die Kunst im Duktus ihrer aufklärerischen Rolle und im Sinne ihrer legitimatorischen Praxis immer an die "Allgemeinheit" gewandt hat, sich sozusagen als repräsentativen Part dieser Allgemeinheit ausgegeben hat, und damit ihren Status als Alien, als das Fremde im Eigenen verspielt hat. Dieser Entfremdung versuchen künstlerische Projekte im "öffentlichen Raum" zu begegnen, indem Medien, Sprachen und Formen herangezogen werden, die auf einee relativ breite "Lesbarkeit" setzen können.

Die historischen Wurzeln dieses Unterfangens bzw. Problems finden wir in den "Comics" der russischen Avantgarde zu Beginn unseres Jahrhunderts oder in den aktuellen Plakaten der 70er und 80er jahre von Les Levine und Barbara Kruger bis hin zu den Guerilla Girls, Act Up und Gran Fury aus den 90er Jahren. Die Plakatproduktionen im Rahmen der “museum in progress”-Reihe in Wien mit Arbeiten von Gerwald Rockenschaub, Hans-Peter Feldmann, Felix Gonzales-Torres, Rosemarie Trockel u.a. weisen auf eine spezifisch österreichische Präsenz dieser Strategie, die sich auch durch die im internationalen Vergleich exorbitant hohe Summe von Plakatflächen im öffentlichen Raum begründen ließe. Die Werbekampagne von Benetton mit Fotos von Oliviero Toscani sorgte auch hier für Diskussionen, genauso wie sich die Gemüter der Touristen an der ungewöhnlichen Freizügigikeit der lokalen Palmers-Plakate erhitzten. Mit anderen Worten: Dieses Medium hat in Österreich Tradition bzw. Plakate sind dem hiesigen Publikum nicht fremd.

Ganz anders verhält es sich aber mit der Frage des Fremden selbst und hier leiden BesucherInnen und BürgerInnen nicht-österreichischer Herkunft genauso wie die zeitgenössische Kunst unter einer zunehmenden Fremden- und Kunstfeindlichkeit. Vor dem Hintergrund einer destabilisierten und dynamisierten ökonomischen und politischen Weltordnung blühen die alten Orientierungs- und Weltmuster wie Nationalismen und Tradtition wieder auf. Diese Reaktionen vemitteln sich in Parolen vom "vollen Boot", vom "Recht auf Heimat" (die Freiheitlichen) und mündeten sogar in Vorschläge in der Art verpflichtender "Staatsbürgerschafts- und Brauchtumskunde" für Immigranten und Immigrantinnen (Österreichische Volkspartei). Aus dieser Sicht erscheint es nur legitim, wenn sich zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler dafür einsetzen, ihre eigene Marginalisierung zugleich mit der anderer Betroffener zu thematisieren. In der Wirtschaft würde man so ein Projekt als Joint Venture beschreiben. Wesentlich bleibt dabei aber die gemeinsame Vorgehensweise und Strategie zum Zwecke des gemeinsamen Nutzens.

Nun stellt sich die Frage, wenn wir über das "Fremde" sprechen, aus welcher Perspektive dieses wahrgenommen oder empfunden wird: das Fremde der Anderen gegenüber der eigenen Gewohnheit, das Fremde der Anderen gegenüber der eigenen Gewohnheit, das Fremde aus der Sicht der Einheimischen oder ImmigrantInnen, das Fremde aus der Sicht der KünstlerInnen oder aus der Sicht einer breiten nationalen Öffentlichkeit, für die die zeitgenössische Kunst vielleicht genauso fremd ist wie die Manifestationen heterogener Kulturen? Was unterscheidet das Neue, das im modernen Sinne als Fortschrittsmetapher begrüßt wird, vom Fremden, das als Bedrohungsbild abgelehnt wird? Wenn wir über das Fremde sprechen, wer spricht dann für wen, auf welcher Basis und mit welchem Recht? Ist das "Femde" als Charakterisierung kategorisch abzulehnen oder kann es auch positive Aspekte beinhalten. Ein Grundproblem dieser Fragen steckt in der Dichotomie, die das Fremde automatisch vom eigenen und Bekannten unterscheidet. Solange diese Dichotomie die Wahrnehmung des Fremden charakterisiert, solange bleiben die hierarischen Positionen zwischen dem aktiven Subjekt und dem passiven Objekt der Beobachtung bestehen. Selbst die Sympathie für das Fremde als das andere, für seine Otherness (1), gerät zur Bekräftigung des ungleichen Machtverhältnisses. In dieser Problematik gehören auch die Begriffe des Multikulturellen, des pluralistischen Nebeneinanders etc., die im Kontext der Postmoderne-Diskussion gerne und häufig Vewendung fanden. Wie Slavoj Zizek bei einem Vortrag zum Thema des Postkolonialsimus feststellte, handelt es sich dabei nur um einen inversen Fundamentalismus, der die Differenz nun gutgläubig aber neuerlich festschreibt (2).

Ein anderes Modell, da Homi K. Bhaba (3) vorschlägt, basiert auf der Idee des "In-Between", einer alternativen Lokalisierung der Erfahrung, die essentialistische und fundamentalistische Argumente überwinden will, indem er auf den infiniten Prozeß dieser Lokalisierung und ihre Nicht-Festlegbarkeit verweist. Der Raum, in dem sich diese prozessualen Erfahrungs-Lokalisierungen treffen können, unabhängig von der heterogenen kulturellen Erfahrung, ist der "Third Space". In die gleiche Richtung argumentierte auch Zizek, der sich auf Lacans Theorie der nicht besetzbaren Stelle des Realen als permanentem Mangel der Subjektkonstruktionen berief. Auf unsere Diskussion übertragen bedeutet das, nach einer möglichen Internalisierung des Fremden als dem de facto Gemeinsamen Ausschau zu halten. Damit verlieren wir die Perspektive, die Kunst als Fürsprecherin für Andere zu sehen, würde sich doch damit die Rolle des souveränen Autors einnehmen und die Stimmlosigkeit der Anderen invers bestätigen (4).

Diese Souveränität und Macht kam und kommt ihr wohl kaum zu. Ein Blick in die andere Richtung stellt die eingangs erwähnte Frage, inwieweit wir nach dem Fremden in der Kunst Ausschau halten können. Diese Frage liese sich nun unter dem Verweis auf die verschiedenen Erweiterungsformen künstlerischer Praxis beantworten; wir sprachen über die erweiterte Malerei, die erweiterte Skulptur, das expanded cinema, etc. - d.h. über einen Einverleibungsgestus unterschiedlicher, ehemals "kunstfremder" Ausdrucksmittel, der in die offensichtliche Kongruenz zwischen künstlerischen und anderen kulturellen, ökonnomischen und politischen Ausdrucksformen mündete. Das Resultat daraus könnte heißen, daß es heute kein Medium oder kein Formenvokabbular gibt, das der Kunst per se fremd sei. Selbst das Plakative oder der Kitsch, vormals absoloute Feindbilder künstlerischer Integrität, finden heute Eingang in künstlerische Sprachen. Analog zur postkolonialen Diskussion befinden wir uns damit schon jenseits dieser ehemaligen künstlerischen Kolonialisierungs- und Annexionsphase ursprünglich (kunst-) fremder Formen und Ausdrucksmittel. Eine zweite Anttwort könnte in der eingangs erwähnten Reflexion der instituionell bedingten Legitimierung künstlerischer Praxis liegen - eine Erfahrung, die sich in der Institutionskritik und gleichzeitigen Inanspruchnahme des öffentlichen Raumes manifestierte. Die Argumentation hinter der "Kunst im öffentlichen Raum" zielt primär auf ein Publikum, das den Weg in die Kunstinstitutionen nicht (mehr) finden wollte, und nun direkt und unmittelbar in Zeitungen und auf der Straße mit Kunst konfrontiert wird. Diese (teils erzwungene und spontane) Rezeption deutet einerseits auf eine weiterere Institutionalisieung des öffentlichhen Raumes selbst, und andererseits impliziert dieser Gestus, daß dieser Raum nach wie vor als Informationsträger und Ausdrucksmedium funtkioniert.

1. Zur Institutionalisierung: Wie eng die Bandbreite der Instrumentalisierung dieses öffentlichen Raumes ist, erweist sich darin, wie schwer es geworden ist, eine Veranstaltung in diesem Rahmen zu realisieren. Es bedarf der behördlichen Genehmigung durch ein Magistrat, durch die Polizei, durch die Feuerwehr, einen oder eine BezirksvertreterIn, es bedarf der Einhaltung bestimmter Vorschriften wie Lärmgrenzen etc.. Diesen öffentlichen Raum einfach ungefragt in Anspruch zu nehmen, ist mehr oder minder illegal. Weil die Staße allen gehört, gehört sie niemand. Der Verweis auf die Allgemeinheit legt invers das Individuum dieser Allgemeinheit, d.h. das Individuum als öffentliches lahm. Der öffentliche Raum ist dem Individuum als Ausdrucksfläche fremd geworden.

2. Zur Funktion des öffentlichen Raumes als Informmationsmedium: Der Sinn einer Demonstration etwa liegt heute nicht mehr in der Vermittlung einer Forderung an die konkrete Öffentlichkeit auf der Straße, sondern primär in der Erwckung jenes medialen Interesses, das die Forderung dann via Zeitung und Fernsehen erst veröffentlicht. Diese Adressierung bestätigt erst den öffentlichen Wert eines Problems. Damit hat der (dreidimensionale) öffentliche Raum als Informationsffläche an Bedeutung verloren. Die Diskussionen und Entscheidungen finden an anderen Orten statt, werden dem öffentlichen Raum sukzessive fremd. Selbst Plakate müssen dieses Effizienzdefizit über eine Massierung ihres Inerscheinungtretens kompensieren. Wer in welcher Präsenz über dieses Medium iinformiert, wird aber allein über die ökonomische Potenz und damit als Machtdiskus definiert. Paradoxerweise wird damit die Intensivierung der Informationsdichte einer immer kleineren Grupe von ökonnomisch potenten Informanten überantwortet. Informations- oder kommunikationstheoretisch hieße das, zunehmend mehr Empfänger mit immer weniger Sendern konfrontieren. Oder anders: Immer mehr Empfänger haben immer weniger Chance, ihre rezipierten Informationen wieder aktiv und korrigiert in den Informationsfluß einzubringen. D.h. die Informationsgesellschaft entfremdet sich ihrer Möglichkeit, zu informieren und bleibt als informierte Gesellchaft zurück. Der Begriff des Fremden könnte in diesem Zusammenhang aktiviert werden, um die Fragen nach der Definition gesellschaftlicher Strukturen jenseits essentialistischer ethnischer Dichotomen (zwischen dem eigenen uund dem Fremden) neu zu stellen. Demgemäß wäre fremd in einer informierten Gesellschaft, wer von der Produktion öffentlicher Information ausgeschlossen bleibt. Konsequenterweise wird Information für die Öffentlichkeit gerade dann fremd, wenn sie als öffentliche in Erscheinung tritt.

Wenn wir diese These auf den Kopf stellen, dann liegt eine Chance, diese Informationsentfremdung und dieses Paradoxon von Öffentlichkeit zu perforieren darin, über die Fremdheit einer Information in diesem öffentlichen Medium, d.h. über ihren diffferenten (= fremden) Ursprung zu informieren, mit anderen Worten: Wenn eine Information herausfällt, mithin ihre Stimme einer Frage verleiht, die den Begriiff des Fremden im öffentlichen formuliert und damit die Integrität des Öffentlichen selbst diskreditiert, wird diese Information als spezifisch nicht-öffentliche rezipiert. Als gerade nicht-öffentliche Stimme aber wird sie zur individuellen Information im öffentlichen Raum.

Die institutionalisierte Stimme der Kunst, die sich aus legitimativen Prinzipien oft und gerne als öffentliche Stimme versteht und im Sinne der Allgemeinheit auftritt, wird analog dann fremd, wenn sie als repräsentativ-öffentlich in Erscheinung tritt. Aber gerade dieser Ansruch für das Interesse der Allgemeinheit zu produzieren oder auch zu kritisieren, war der Kunst und ihrem Anspruch auf Freiheit legitimatorisch und zugleich als aktuelles Problem eingeschrieben. In diesem Sinne könnten wir auf die eingangs erwähnte Frage Frage nach dem Fremden in der Kunst nun antworten, dass dieses in der Negation ihrer Repräsentation des Öffentlichen liege. Künstlerische Praxis, die die aktuelle Paradoxie des Öffentlichen kritisieren will, muß sich konsequenterweise gegen diese Form von Öffentlichkeit selbst wenden, indem sie die spezifische Differenz ihrer (fremden) Stimme, d.h. ihre Nicht-Öffentlichkeit veröffentlicht. Erst die Diskussion des Fremden im Öffentlichen macht das Öffentliche selbst verhandelbar. Für eine Kunst, die die Öffentlichkeit sucht, mag die Suche nach dem Nicht-Öffentlichen im Öffentlichen vielleicht fremd klingen, aber ich denke gerade darin liegt ihre aktuelle Aufgabe.

Anmerkungen:

1) Vgl. dau etwa: Isaac Julien uund Kobena Mercer, De Margin und De Center; in: Stuart Hall, Critical dialogues in cultural studies, edited by David Morley and Kuan-Hsing Chen; Routledge, London, New York 1996, 450 f.
2) Slavoj Zizek, Vortrag im Rahmen eines Symposiums zur Ausstellung "Inklusion:Exklusion", Steirscher Herbst 1996, Graz
3) Vgl. dazu: Homi K. Bhaba, the Location of Culture, Routledge, London, New York 1994
4) Vgl. dazu: Gayatri Chakravortry Spivak: Can the Subaltern Speak?, in The postcolonial studies reader, edited by Bill Ashcroft, Gareth Griffith, Helen Tiffin; Routledge, London, New York 1995, 24f.

Publikation "Fremd, 800 Plakate", 1997 top