Foreign (deutsch)

200 posters, 1 subject / Lower Austria, 1997

Politics
In 1997 we tried instrumentalizing posters as a political medium – beyond the advertising of political parties, which, during election campaigns, use billboards less for presenting actual political information than for merely putting the portraits of their top candidates in the right light. The immediate motivation for our broad-range poster campaign, in which we invited a number of artists to participate, was the motto chosen by the European Union for its cultural activities in 1997: “Year Against Racism, Xenophobia and Anti-Semitism”. Because racism, in its narrow sense of a racial ideology, can hardly be said to be a primary social phenomenon and problem in Austria today, we generalized the subject. This also seemed a reasonable thing to do because ethnically-motivated discrimination can be considered only one extreme pole of a social as well as individual and psychological complex which includes behavior and attitudes that are definitely part of social reality. Our subject was therefore the entire mixture of motives ranging from harmless resentments against German tourists to isolated cases of sheer racism, from the common acceptance of the social inequality of women to sexual harassment, from jokes at work about colleagues from foreign countries, or “foreignization” as the subject of political campaigns, to blatant xenophobia.
Our own artistic contribution to the campaign was a decidedly political poster, a sarcastic commentary on Austria’s political asylum policy at the time and on the prevalent self-centered mentality that makes such a policy possible in the first place. The refractory – always unspoken – slogan “We stick to our own kind!” (“Wir bleiben unter uns!”) was emblazoned in apparent affirmation across the entire breadth of the poster. This attitude, never publicly appealed to in the media world and always only expressed among one’s fellows in back rooms, was presented here hugely and flamboyantly. The background on which the words were printed was the only pictorial motif on the poster: a used, dirty tea towel, and this contrasted all the more with the clamorous outcry. A small, slanted rectangle in the colors red-white-red was the poster’s third element, which in its size and position on the poster was reminiscent of the usual company logos seen on advertising posters. But noted on this emblem was a brief sentence giving information about the rejection quota for asylum applications in the year 1996. This sad fact – Austria ranked last among all EU states for granting political asylum in 1996 – was, however, not presented as a neutral piece of information but rather, with ironic intention, as the commendation of an achievement. In this way a game was initiated in the form of a dialogue between the subjects of the two sentences – both of them “we” – which in turn triggered a dialogue with the observer. Who are the ones who want to stick to their own kind, who are the ones who “turn down 92% of all applications for political asylum?” Is “we” the same in both cases? And who wants to be part of which “we”?


Fremd


Die Europäische Union erklärte 1997 zum ”Jahr gegen Rassismus” und wählte dieses Motto zum Leitthema für kulturelle Aktivitäten. Vor diesem Hintergrund organisierten Otto Mittmannsgruber und Martin Strauss eine Plakatreihe. Weil im heutigen Österreich Rassismus, im engen Sinn einer Rassenideologie, kaum als vorwiegendes gesellschaftliches Phänomen und Problem zu bezeichnen ist, wurden Thema und Titel des Projekts verallgemeinert. Dies schien unter anderem deswegen sinnvoll, weil ethnisch motivierte Diskriminierung auch bloß als extremer Pol eines sozialen wie individuell-psychischen Komplex´ betrachtet werden kann, dem Verhaltensweisen und Einstellungen zugehören, die durchaus Teil der gesellschaftlichen Realität hierzulande sind. Angesprochen war demnach das Gemisch von Motiven, das von harmlosen Ressentiments gegen deutsche Touristen bis zu einzelnen Fällen von blankem Rassismus reicht, von der landläufigen Akzeptanz einer sozialen Ungleichheit von Frauen bis hin zu sexistischen Übergriffen, von den Witzen gegen den ausländischen Arbeitskollegen oder der ”Überfremdung” als Thema politischer Wahlkämpfe bis hin zum dezidierten Ausländerhaß. Eingeladen wurden sechs in Österreich lebende ausländische KünstlerInnen, die jeweils ein Plakat entwarfen, das inhaltlich zu diesem thematischen Bereich Bezug nahm: Christy Astuy, Claudia Lutze, Mittmannsgruber/ Strauss, John Silvis, Andrea van der Straeten und Simon Wachsmuth. top


Mittmannsgruber/Strauss

Die Darstellung eines gebrauchen Gechirrtuchs im üblichen rot-blauen Karodesign mit dem Schriftzug: “Wir bleiben unter uns!” - in derselben blauen Farbe, die auch für die maschinell gestickten Linien des Tuchs verwendet wurde. Unten rechts ein schräger Streifenaufdruck in den österreichischen Landesfarben. In das Weiß ist die Information gesetzt: “1996 konnten wir 92 Prozent aller Asylanträge ablehnen!” Wieder dieses einvernehmende ‘Wir’. Das Plakat von Mittmannsgruber und Strauss zu ‘Fremd’ ist vielleicht der grafisch unspektakulärste Entwurf der Projektserie und gleichzeitig der explosivste. Das Plakat scheint die affirmative Sprache der Wahlwerbung zu benutzen, obwohl der Unterschied zu dieser überdeutlich bleibt: Das irritierende Understatement des Geschirrtuchs, - dessen Rastermuster noch nicht einmal parrallel zum Bildrand verläuft, der Verzicht auf Signalfarben und auf einen attraktiveren hervorstechenderen Schriftzug etc.. Zum ersten Mal formulieren Mittmannsgruber und Strauss einen Slogan. Sie greifen ein politisches Thema, das Problem des Asyls in Österreich, direkt auf. Die Rezeption dieses Plakates entscheidet sich danach, wie das zweifache, affirmativ einnehmende ‘Wir’ des Slogans verstanden wird. top


Simon Wachsmuth

Das Plakat von Simon Wachsmuth zeigt einen Textauschnitt aus der Thora (Altes Testament, Deuteronomium, 23/16 u.17) in alter hebräischer Quadratschrift. Der Text bezieht sich auf die faire Behandlung, die Fremden zuteil werden sollte, wenn sie in ein anderes Hoheitsgebiet kommen. Der Text erscheint als Fragment, als Bild. Obwohl das Plakat ein reines Textplakat ist, vermittelt es - üblichen Werbestrategien diametral gegenläufig - zunächst einen überwältigenden Eindruck der Unverständlichkeit, der die unterschiedlichsten Reaktionen auslösen mag. In der linken unteren Ecke des Plakates ist in roten, wesentlich kleineren, Buchstaben die Übersetzung der Textpassage abgedruckt: “Du sollst einen fremden Untertan, der vor seinem Herrn bei dir Schutz sucht, seinem Herrn nicht ausliefern. Bei dir soll er wohnen dürfen, in deiner Mitte, in einem Ort, den er sich in einem deiner Stadtbereiche auswählt, wo es ihm gefällt. Du sollst ihn nicht ausbeuten.” top


Claudia Lutze

Claudia Lutze trägt drei verschiedene Plakate bei. Sie zeigen jeweils unter dem Titel “mental map Europe” die Bleistiftskizze eines Bezugsgeflechts, das als ‘Europa’ gelesen werden kann. Unter der Bezeichnung “mental map Europe” verweist der Begriff ‘Dokument 1’ auf einen umfassenderen Forschungsrahmen, auf die Tatsache, daß es vermutlich eine ganze Serie solcher Dokumente gibt (das wird auch schon dadurch deutlich, daß drei verschiedene Versionen dieses ‘Dokument 1’ auf den Plakaten zu sehen sind). Unten rechts auf den Plakaten steht in einem Kasten der Index, der aus einem Zahlencode, einer Ortsbezeichnung und einer Jahreszahl besteht. (Sarajevo 1996, Berlin 1985, Lapland 1997). Die gezeichneten Linien auf den Plakaten sind äußerst filigran, sie sind spontane persönliche Protokolle von geographischen, geopolitischen oder auch emotionalen Bezügen, die von der Seite der Betrachter die verschiedensten Lesarten zulassen. Der formale Aufbau dieser Plakatflächen widerspricht natürlich jeder konventionellen Werbelogik. Die großen weißen (leeren) Fläche der ‘Landkarten’ sind gerade durch den Charakter des Unfertigen, des Versuchs, auch ein Angebot und eine Aufforderung. Die drei Plakate sind Dokumente eines Projektes, an dem Claudia Lutze derzeit arbeitet. Sie betont, daß das wichtigste für sie an diesem Projekt sei, das Verfahren, das sie konzipiert hat, konsequent anzuwenden: In 15 verschiedenen Städten, die sie festgelegt hat, wird von ihr je 10 mal dieses Verfahren durchgeführt. top