I (deutsch)

800 posters, 10 different subjects / Vienna, 2002

Subject and Commerce
For the advertising industry, the use of the pronoun “I” is a primary instrument: consumption as a promise of individual happiness. In particular, however, the industry has in recent years discovered the usefulness of the pop culture’s nonconformist attitude and has embraced the use of a symbolic air of rebellion as a sale-promoting strategy. On posters, in advertisements and in TV spots, a kind of “commercialization of liberation” (Tom Frank) has become widespread. Taking a seemingly paradoxical turn, more and more brands are criticizing consumer society in their advertising: Pullovers have become instruments of resistance against racism and are calling attention to the value of each individual; computer manufacturers see themselves as spearheads in the battle against technocracy; popular music channels on television insist on their credibility with the subversive underground; internationally sold soft-drinks are being presented as the incarnation of individualism, mobile telephones as tools of personal independence, automobiles as vehicles of self-realization. We are constantly hearing – more or less explicitly – about the individual and “I”.
All traditional mass media are one-way media. And each medium wants controlled communication of its messages. That is why, if a poster is damaged or defaced, it is immediately replaced or repaired at considerable expense. In this campaign, defacement was part of the project, and posters that were actually “ruined” continued to be shown on the streets of Vienna for a month. We manipulated the advertising posters by adding the pronoun “I” (“ICH”, since the posters were in German) in large print, and this was done in such a way that it looked as if the individual letters had been cut or torn out of the posters by force – in an act of vandalism. The original advertising function of the posters had been eliminated; the “message” which remained, the irregular, uneven character of the letters, had inscribed itself – on all the different advertising subjects equally – like an foreign element into their smooth aesthetic. Passersby realized, at the latest after seeing a second poster, that neither an arbitrary act of destruction nor a spontaneous expression of opinion had befallen the medium, but rather, that the intervention had been planned and organized. Deprived of the magic of their colorful pictures, in some way denuded and exposed to reappraisal, the posters hung on the walls. They had lost their original message; in its place was an empty space – but an empty space that directly and manifestly gave a name to what, in truth, had always been missing from these posters: “I”.



ICH


Werbeplakate sind von uns manipuliert worden: Groß ist darauf jetzt das Wort ICH zu lesen, und zwar so, dass dabei der Eindruck entsteht, die einzelnen Lettern seien gewaltsam – in einem Akt von Vandalismus – aus dem Plakat geschnitten oder gerissen.

Alle traditionellen Massenmedien sind Einwegmedien. Und durch jedes Medium sollen die Botschaften kontrolliert übertragen werden. Deshalb wird auch beim Plakat, falls sich eine Störung oder Beschädigung einstellt und beispielsweise in Wahlkampfzeiten der Unmut mancher Wähler breitmacht, mit höherem Aufwand kaschiert, was nächtens abgerissen und beschmiert wurde. Wenn der Zustand der Reaktion sichtbar bliebe, könnte dies ja auch andere animieren – und das Chaos der freien Unmuts- oder gar Meinungsäußerung würde sich womöglich ungehemmt über die plakative Bilderwelt der Stadt ergießen. Bei unserer Kampagne ist diese Beschädigung Teil der Ordnung geworden und Plakate, die eigentlich zerstört sind, dürfen ein Monat lang in Wien auf der Strasse gezeigt werden. Sie sind ihrer ursprünglichen Werbefunktion enthoben worden, die hinterlassene “Nachricht”, der fahrige Charakter der Buchstaben, hat sich wie ein Fremdkörper in ihre glatte Ästhetik eingeschrieben. Dem Passanten wird spätestens nach der Begegenung mit dem zweiten Plakat, oder aber auch beim Nähertreten klar, dass hier weder zerstörerische Willkür noch spontane Meinungsäusserung über das Medium gekommen sind, sondern dass dieser Eingriff organisiert und geplant vorgenommen wurde. Und hierin liegt der entscheidende Zug dieses Projektes: Der Passant wird dadurch gezwungen, diese Unvereinbarkeit mit den bekannten Funktionsprinzipien des Mediums aufzulösen. Wer hier agierte, hat das mit Kalkül und Berechnung getan und die organisierte Störung ist kein Zeichen der Ohnmacht mehr, sondern in der Sprache des Öffentlichen vorgetragen, in die Aktion eingeschriebene Reaktion. Sie verschafft dem Betrachter wieder eine Wahlmöglichkeit – die nicht nur darin besteht, zwischen verschiedenen Produkten, sondern zwischen unterschiedlichen Inhalten zu wählen.

Denn dem Zauber der bunten Bilder entzogen und der Reflexion preisgegeben, auf eine gewisse Weise entblößt und entlarvt, hängen die Plakate nun an den Wänden. Ihre ursprünglichen Botschaft sind sie los geworden, an derer statt eine Leerstelle getreten ist – eine Leerstelle jedoch, die unmittelbar und manifest benennt, was auch sonst in Wahrheit auf den Plakaten immer fehlt: ICH.

Seit den 90er Jahren hat die Werbeindustrie den symbolischen Gestus der Rebellion aus der Popkultur für sich übernommen. Im Namen einer vorgeblichen Auflehnung gegen den Konformismus macht sich auf den Plakaten, in den Anzeigen und den TV-Spots eine Art “Vermarktung der Befreiung” breit. In einer paradoxen Wendung reklamieren immer mehr Marken selbst eine Kritik des Konsums und der Konsumgesellschaft: Pullover werden zu Mitteln des Widerstands gegen den Rassismus und betonen dagegen den Wert jedes einzelnen Menschen; Computerhersteller begreifen sich als Speerspitze im Kampf gegen die Technokratie; die populären Musik-Fernsehsender bestehen auf ihrer Glaubwürdigkeit beim subversiven Underground; weltweit vertriebene Softdrinks werden zur Inkarnation des Individualismus, Mobiltelefone zu Werkzeugen der persönlichen Unabhängigkeit, Autos zu Vehikeln der Selbstverwirklichung usw.. Die geheuchelte Ablehnung der Massengesellschaft und die Feier des Individuellen, derer sich ausgerechnet die Werbung befleißigt, soll freilich für die eigenen Zwecke genutzt und zu neuerlichem Konsum umgemünzt werden. Denn die Antwort auf den Konformismus liege darin, so wird uns suggeriert, dass wir Produkte kaufen. Dieser neue Typ von Zeitgeistwerbung “erfindet Konsumenten, die sich mit Hilfe einer Marke von den alten Ordnungshütern emanzipieren, die die Ketten der industriellen Ordnung sprengen, die der Routine der Bürokratien und Hierarchien entfliehen und schließlich zum Authentischen finden - dem Allerheiligsten des Konsumenten.” (Tom Frank)
top